„Es ist ein Scheitern und ein Wegfinden“ – Ein Gespräch mit Olivia Hyunsin Kim

Zum Probenbesuch von Like Daughter, Like Mother begrüßt mich Olivia Hyunsin Kim mit einem herzlichen Lächeln. Morgen feiert das Stück Premiere und obwohl noch große Teile der Produktion verändert oder neu erfunden werden müssen, da ihre Mutter Yeonsook Jeong kurzfristig nicht live vor Ort sein kann, strahlt Hyunsin eine angenehme Gelassenheit aus. Hinter ihr steht das sichtlich eingespielte Team, bestehend aus Wicki Bernhardt und Jones Seitz. „Mix and Match“ nennt Hyunsin den Probenstil und lacht, „aktuell arbeiten wir noch viel mit Improvisation, um Szenen zu kreieren.“ Fokussiert, mit Leichtigkeit und Humor arbeiten sie gerade im Hochzeitssaal an einer fiktiven Szene, in der sich Hyunsins Eltern begegneten. Ich freue mich, dass die Performerin und Choreographin Zeit fand, um über ihre neuste Produktion und das Muttersein so offen zu sprechen.

Möchtest du kurz einführen, wovon „Like Daughter, Like Mother” handelt und was der Ausgangspunkt für das Stück war?

Der Ausgangspunkt war unsere Produktion Miss Yellow and Me, I wanna be a musical von 2017, in dem meine Mutter als Showkandidatin auf der Bühne stand. Während der gemeinsamen Proben kam die Idee, unser Mutter-Tochter-Verhältnis und die Konflikte dieser Beziehung näher auf der Bühne zu beschreiben. Zudem bin ich selbst vor Kurzem Mutter geworden und es eröffnete sich die Möglichkeit, unsere Erfahrungen zu vergleichen. Auch wenn meine Mutter nicht direkt hier sein wird, wird sie ihre persönlichen Erlebnisse in Form von Videoinstallationen und Liveaufnahmen schildern. Sie erzählt vom Muttersein und den Schwierigkeiten, die sich dadurch ergaben, aber auch von den Erfahrungen, die sie als Südkoreanerin mit weißen Müttern in Deutschland sammelte. Die Richtung des Stücks hat sich etwas verändert, eine große Rolle spielt nun meine Sicht auf die Familiengeschichte, aber auch auf die Bilder von Mutterschaft.

Was verstehst du selbst unter „Mutterschaft“ und wie hat sich dein Verhältnis dazu während der Proben verändert?

Ich reflektiere vieles stärker. Trotz der Fortschritte der letzten Jahrzehnte gibt es in Deutschland immer noch ein sehr starres Mutterbild und die Rolle der Rabenmutter ist noch sehr präsent. Wie das Bild der Rabenmutter benutzt wird, sehe ich sehr kritisch, da es dich als Mutter einfach zum Scheitern zwingt. Seitdem meine Mutter Großmutter ist, spürt sie diesen großen Druck, der von einer Mutter verlangt wird, nicht mehr. Es wird akzeptiert, dass Verantwortung mehr abgelegt wird. Das wünsche ich mir auch für Mütter.

Inwiefern wünschst du dir das?

Ich bin mir noch nicht sicher, ob das Muttersein abgeschafft werden müsste oder ob wir es beibehalten und öffnen. Ich würde mir mehr gesellschaftliche Verantwortung wünschen, damit die Erziehung nicht bei der Kernfamilie bleibt. Es muss von außen nicht alles perfekt sein. Wir brauchen ein gesellschaftliches Netz, das hilft, wenn Menschen Unterstützung brauchen. Es gibt sehr unterschiedliche Modelle und wir dürfen nicht auf das klassische Modell von Mutter, Vater, Kind beharren, denn hier lastet viel Druck auf zwei Individuen. Wie können wir Erziehung als Gesellschaft gemeinsam tragen und uns dabei unabhängig von Geschlechterrollen gegenseitig unterstützen? Das beschäftigt mich sehr.

Wie schaffst du in „Like Daughter, Like Mother“ Empowerment? Welche Rolle spielen dabei die Reproduktion und Parodie von Stereotypen?

Wir möchten zeigen, welche Mutterbilder es gibt und wie problematisch diese sind. Wir spielen mit Showformaten, die Mensch kennt und in denen verschiedene Mutterbilder abgebildet werden. Häufig geht es dabei um Aufopferung, um bedingungslose Liebe. Selbst wenn sich ein Typus bewusst gegen die Mutterschaft entscheidet, stehen dahinter oft stereotypische Gedanken, die Entscheidung für die Karriere zum Beispiel. Als müsste sich das immer ausschließen. Empowerment entsteht bei mir durch das Aufzeigen dieser eindimensionalen Bilder und dem Freistellen, wie schwachsinnig diese sind. Häufig auch durch Parodie. Dazu kreiere ich Situationen, in denen sich das Publikum entscheiden muss. Ich bin selbst gespannt, in welchem Rahmen wir in diesem Stück trotz der Pandemie interaktiv bleiben können.

Du arbeitest als Choreographin und Kuratorin und wurdest vor Kurzem selbst Mutter. Inwiefern ermöglichen dir die Strukturen der Theaterszene, Familie und Karriere zu vereinbaren?

Die Theaterszene erwartet von dir, dass du sehr flexibel bist. Ich arbeite sehr selbstbestimmt und wir können uns innerhalb unseres Teams gut organisieren. Trotzdem scheitere ich. Es ist ein Scheitern und durch das Scheitern ein Wegfinden. Ich bin durch mein Kind noch nicht effizienter oder organisierter geworden, wie es andere Künstler*innen beschreiben. Aber ich hinterfrage stark die Strukturen. Immer präsenter werden die Fragen, in welchem Setting wir arbeiten, wie die Arbeitsbedingungen sind und wie wir gerne arbeiten würden. Ich denke es geht eher darum, welche Möglichkeiten wir in diesem Rahmen ausloten und darum, Flexibilität in unserem Umgang mit diesen Bedingungen zu finden – anstatt immer flexibel bereit zu stehen.

Du gehst mit dem Thema Mutterschaft und deiner eigenen Familiengeschichte sehr offen um. Wird dir die Arbeit an „Like Daughter, Like Mother“ auch mal zu persönlich?

Manchmal sitzt mir ein Vögelchen auf der Schulter und sagt: „Aber andere schaffen das auch, wieso musst du jetzt daraus ein Stück machen?“. Das Hinterfragen der Gesellschaft ist auch bei mir präsent und das Mich-Selbst-Zensieren passiert tatsächlich. Obwohl ich mich als Feministin identifiziere, kann ich in dem Moment, in dem es um meine Mutter geht, dem Patriarchalen noch nicht entkommen. Ich habe Erwartungen, dass sie zuerst in der Rolle meiner Mutter handelt. Ich versuche dann, diese Mechanismen abzustreifen und mich nicht so sehr einzufangen. Ich glaube für mich und für meine Stücke ist oft eine persönliche Frage der Ausgangspunkt, der dann erweitert wird durch das ganze Team. Das Persönliche ist nicht vom Öffentlichen oder dem Sozialen getrennt, sondern bei mir das stark miteinander verbunden.

Der Festival-Blog ist ein Projekt mit Studierenden des Sudiengangs Kultur- und Medienmanagement am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin.