Tank

OH BRAVE NEW WORLD…

Schonungslos und eindrucksvoll erkundet Doris Uhlich in ihrer Tanzperformance TANK kontroverse Themen rund um Körperlichkeit im technisierten und digitalisierten Zeitalter des grenzenlosen Optimierungswahns.

Hauptaustragungsort der Solo-Vorstellung ist ein gigantischer Glasbehälter auf einem Podest im Zentrum der Bühne. Alle Scheinwerfer auf der ansonsten stockdüsteren Bühne richten sich auf den Tank, der am Anfang mit dichtem Nebel gefüllt ist und eine Menschengestalt erahnen lässt. Der unheimliche Anblick des Bühnenbilds, gepaart mit einer leisen musikalischen Untermalung und dem spannungsvollen Schweigen im Zuschauerraum des Festsaals, schafft eine unfassbar fesselnde Atmosphäre.

Aus dem Dunst heraus erscheinen plötzlich einzelne Körperteile und werden gegen das Glas gepresst. Nachdem sich der Nebel langsam lichtet, kommt eine splitterfasernackte Frau zum Vorschein und die anfängliche Vermutung wird bestätigt. Noch bleibt sie anonym, denn ihre langen feuchten Haare verbergen das Gesicht. Sie ähnelt der Hauptfigur aus The Ring. Das Gesamtbild hat einen überaus cineastischen Charakter und lässt an Science-Fiction- sowie Horrorfilme denken.

Auffällig ist, dass die Performerin keinen jugendlichen durchtrainierten Körper hat und damit nicht dem klassischen Figurentypus von Tänzerinnen entspricht. Diese Beobachtung konfrontiert mit der erschreckenden Feststellung, dass in Tanzaufführungen größtenteils Körper fern der Norm gezeigt werden. Nachdem sich Doris Uhlich vollständig aufrichtet, realisiert sie, dass sie in dem Tank gefangen ist und versucht sich mit diversen ungewöhnlichen Tanzbewegungen zum Sound von pulsierender Technomusik daraus zu befreien. Die Nacktheit in ihrer Unmittelbarkeit ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Für die choreografierten Zitter- und Wackelbewegungen oder beim Greifen ins eigene Körperfleisch ist sie notwendig. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der weibliche Körper oftmals sexualisiert oder zensiert werden, hat die öffentliche Zurschaustellung von Uhlichs „normalem“ Körper etwas sehr Ermächtigendes.

Der titelgebende Tank dient als dessen Versuchsfeld und nimmt eine ästhetisch-symbolische Funktion ein, indem er Assoziationsketten eröffnet. Damit konnotierte Eigenschaften wie Sterilität, Transparenz und Neuartigkeit werden durch den Sprechgesang der Performerin in Aussagen wie „brave new bodies“ oder „re-combine my DNA” aufgegriffen und Fragen zur genetisch-chirurgischen Perfektionierung aufgeworfen.

Irgendwann verlässt die Performerin ihr transparentes Gefängnis und existiert außerhalb dessen unverändert fort. Wozu war der Tank also notwendig? Und wieso kehrt sie am Ende wieder zurück? In den letzten Minuten tritt ihr eine ältere Frau aus dem Publikum gegenüber und zündet sich eine Zigarette an. Das groteske Moment durchbricht die futuristische Szene und das Publikum lacht. Was hat diese Konfrontation zu bedeuten? Ist es womöglich eine Gegenüberstellung von Generationen?

Obwohl die Performance einiges offenlässt, ist die Weise, wie Doris Uhlich universelle Fragen am eigenen Körper verhandelt, grandios und hinterlässt ein ambivalentes Gedanken- und Gefühlschaos zwischen Utopie und Dystopie.

Der Festival-Blog ist ein Projekt mit Studierenden des Sudiengangs Kultur- und Medienmanagement am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin.